Gehirn und Verhalten


Im Gehin TSC-betroffener Menschen sind häufig höckerartige Veränderungen im Bereich der Hirnrinde, die als kortikale und subkortikale Tubera bezeichnet werden, zu finden. Man geht davon aus, dass sich diese Veränderungen, die mit für das Entstehen von Epilepsien verantwortlich sind, schon während der Phase der Vermehrung und Verteilung der Nervenzellen beim Feten bilden und somit bereits bei der Geburt angelegt sind, jedoch erst mit der Ausreifung des Gehirns im Säuglings- und Kleinkindesalter sichtbar werden.Im Gegensatz zu den höckerartigen Veränderungen im Bereich der Hirnrinde (kortikale Tubera) haben subependymale Noduli bei etwa 10 % der Patienten eine Wachstumstendenz und entwickeln sich zu größeren, nicht oder nur wenig verkalkten, gutartigen Tumoren, die dann als subependymale Riesenzellastrozytome bezeichnet werden. Das Wachstum kann bis ins späte Jugendalter anhalten, bis es fast immer zu einem Wachstumstop und einer Verkalkung kommt.

Die Riesenzellastrozytome können durch Behinderung der Abflusswege des Hirnwassers zu einer Störung der Hirnwasserzirkulation und in der Folge zu einer Hirndruckerhöhung führen. Je nachdem wie schnell es zu einer Drucksteigerung kommt, entwickeln sich eindeutige, akute oder auch nur unspezifische Symptome. Eine plötzliche Behinderung des Hirnwasserabflusses äußert sich typischerweise mit Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, insbesondere morgens nach dem Aufstehen, Unruhe oder in einer erhöhten Schläfrigkeit mit Eintrübung des Bewusstseins. Außerdem können plötzliche neurologische Ausfälle, wie zum Beispiel Sehstörungen, Lähmungen, Gang- oder Koordinationsstörungen, auftreten. Kommt es zu einer allmählichen Drucksteigerung, so kann sich diese auch ausschließlich in einem veränderten Verhalten oder einer erhöhten Anfallsfrequenz äußern 3.

 

Durch regelmäßige kernspintomografische Untersuchungen (Magnetresonanztomografie/MRT) muss daher kontrolliert werden, ob subependymale Noduli wachsen und ob das Risiko einer Behinderung des Hirnwasserflusses und somit eine Therapienotwendigkeit besteht. Zur Verkleinerung oder Entfernung der subependymalen Riesenzellastozytome stehen sowohl chirurgische Methoden als auch eine medikamentöse Therapie mit mTOR-Inhibitoren zur Verfügung.


Epilepsie ist häufig ein weiteres Symptom

Die Epilepsie als ein weiteres Symptom des Tuberöse Sklerose Complex ist eine der häufigsten Krankheitserscheinungen, die bei etwa 75 – 90 % der Betroffenen meist schon im 1. Lebensjahr auftritt und häufig den ersten Hinweis auf die Erkrankung gibt 4.

Es gibt unterschiedliche Anfallsarten. Man unterscheidet hier zwischen generalisierten Krampfanfällen, die das gesamte Gehirn betreffen und fokalen (partiellen) Krampfanfällen, die zum Beispiel von einem kortikalen Tuber ausgehen und nur die in diesem Bereich gesteuerten Gehirnfunktionen beeinflussen.

Fokale Anfälle können in Abhängigkeit des Entstehungsortes des epileptischen Anfalls (Fokus) ein unterschiedliches Erscheinungsbild haben. So kann man sie weiter unterteilen in einfach fokale Anfälle, bei denen das Bewusstsein nicht beeinträchtigt wird, und komplex fokale Anfälle, bei denen es zu einer Einschränkung des Bewusstseins (keine oder inadäquate Reaktion auf Ansprache, keine Erinnerung an den Anfall) kommt. Einfach fokale Anfälle können aber auch in komplex-fokale oder generalisierte Anfälle übergehen. Manchmal machen sich Krampfanfälle vorher durch eine sogenannte Aura bemerkbar, etwa durch eine vom Magen zum Kopf aufsteigende Übelkeit, Wahrnehmung von Gerüchen oder Geschmäckern oder das Gefühl, eine Situation schon einmal erlebt zu haben (déjà vu-Erlebnisse). Bei generalisierten Anfällen ist das Bewusstsein meistens, wenn auch nicht immer, beeinträchtigt. Sie können ebenfalls ein sehr unterschiedliches Erscheinungsbild haben 5.

Etwa zwei Drittel der Säuglinge mit Tuberöse Sklerose Complex entwickeln als Erstsymptom einer Epilepsie BNS-Anfälle (Blitz-Nick-Salaam-Anfälle, infantile Spasmen) 4. Diese Anfälle sind durch symmetrische Beuge- und Streckkrämpfe der Extremitäten gekennzeichnet. Je nach betroffenen Muskeln und Lage des Kindes ergeben sich verschiedene Bewegungsmuster. So kommt es bei Nick-Anfällen zu kurzen, oft diskreten Nickbewegungen des Kopfes, während Salaam-Anfälle mit einem steifen (tonischen) Wegstrecken der Arme zur Seite über zwei bis zehn Sekunden, gefolgt von einem langsamen Zusammenführen über der Brust, einhergehen. BNS-Anfälle müssen jedoch nicht immer diese typischen Anfallsformen beinhalten. Sie können sich auch auf das alleinige Auftreten von unwillkürlichen Muskelzuckungen (Myoklonien) oder eine Versteifung der Muskulatur (tonische Elemente) beschränken oder nur durch Blickabweichungen in Erscheinung treten. Die Anfälle treten gehäuft in Einschlaf- und Aufwachphasen auf, typischerweise in Serien mehrmals hintereinander 5,4. Eltern und Betreuer sollten daher generell auf außergewöhnliche Bewegungsmuster oder Veränderungen im Verhalten der Kinder achten, da diese Hinweis für einen epileptischen Anfall sein können. 

Wird eine Epilepsie festgestellt, werden zur Therapie zunächst antiepileptische (antikonvulsive) Medikamente eingesetzt. Allerdings bessert sich die Epilepsie bei bis zu drei Viertel der Betroffenen hierdurch nur unzureichend. Als weitere Therapieoptionen stehen in diesem Fall die Ketogene Diät, die Vagusnervstimulation sowie die Epilepsie-
chirurgie zur Verfügung 4.


Geistige Behinderung

Die Möglichkeiten der intellektuellen (geistigen) Entwicklung von Menschen mit Tuberöse Sklerose Complex sind sehr verschieden, bei etwa der Hälfte bis zu zwei Drittel der Patienten kann jedoch eine geistige Einschränkung (IQ < 70) beobachtet werden, wobei alle Schweregrade vertreten sein können 6, 7, 8, 9, 10. So sprechen etwa zwei Drittel dieser Patienten nicht und bei etwa einem Fünftel wird eine engmaschige Beaufsichtigung im täglichen Leben notwendig. Alle anderen Patienten führen ein unabhängiges Leben, können aber Verhaltensauffälligkeiten haben 11.

Darüber hinaus besteht aber auch bei Patienten mit normaler Intelligenz ein erhöhtes Risiko für spezifische intellektuelle Einschränkungen, Verhaltensstörungen und psychiatrische Erkrankungen 6, 12, 13. So kann es zu Störungen der Entwicklung schulischer Fähigkeiten kommen, die nicht alleine durch die Intelligenzminderung, andere körperliche Einschränkungen oder die Bildungschancen erklärt werden können. Dazu gehören zum Beispiel Rechenstörungen, Lese- und Rechtschreibstörungen 13.


Psychiatrische Erkrankungen

Bei von TSC Betroffenen treten zudem häufiger Verhaltensprobleme auf. Kinder und Jugendliche zeigen vermehrt Probleme im Bereich der sozialen Interaktion und der Sprache. Zudem kommt es zum Teil zu Verhaltensweisen wie Hyperaktivität, Rastlosigkeit, Schlafproblemen, Impulsivität, Aggression und Selbstverletzung. Diese Verhaltensprobleme treten vor allem bei intellektuell eingeschränkten Patienten auf, finden sich jedoch auch bei Betroffenen ohne Entwicklungsstörung häufiger. Unabhängig von dem Grad der geistigen Behinderung können zudem Störungen der Stimmung wie depressive Stimmungslagen, Angst oder extreme Schüchternheit auftreten 13, 14. Gehäuft sind bei Tuberöse Sklerose Complex psychiatrische Erkrankungen wie

 

Autismus-Spektrum-Störungen
Bei Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung, die bei 25 - 50 % aller vom Tuberöse Sklerose Complex betroffenen Patienten beobachtet werden kann, sind vor allem die Kommunikation und die soziale Interaktion mit anderen Menschen beeinträchtigt. Erste Anzeichen dafür können unter anderem eine reduzierte Verwendung von Mimik, Körperhaltung und Gestik sein. So kann es zum Beispiel vorkommen, dass Kinder ihrem Gegenüber ins Gesicht sehen, jedoch keinen gezielten Blickkontakt aufnehmen, oder auf Dinge zeigen, ohne dass diese Geste einen Aufforderungscharakter hat. Auch häufig zu beobachten ist darüber hinaus das Ausbleiben der Lächelreaktion im Sinne einer sozialen Kontaktaufnahme oder des kommunikativen Geplappers, welches Kinder vor dem Erlernen des Sprechens praktizieren. Zusätzlich kommen monotone oder ritualisiert wiederholte Verhaltensweisen vor 17, 18. Ursache dafür sind grundlegende Unterschiede in der Verarbeitung von Sinneseindrücken und in der Wahrnehmung der Umwelt, die wie die übrigen psychiatrischen Erkrankungen auf Veränderungen des Gehirns beruhen und nicht durch eine falsche Erziehung, mangelnde Liebe oder sonstige Umweltfaktoren bedingt sind. Es besteht jedoch ein klarer Zusammenhang zum Grad der geistigen Behinderung sowie dem Auftreten einer Epilepsie, insbesondere wenn diese früh einsetzt. Allerdings kommen Autismus-Spektrum-Störungen auch bei TSC-Patienten mit normaler Intelligenz 10 - 20 mal häufiger vor als in der übrigen Bevölkerung 13, 14, 15, 16. Die Therapie von Autismus-Spektrum-Störungen muss individualisiert zusammen mit einem Kinder- und Jugendpsychiater oder von geschulten Mitarbeitern einer Autismus-Ambulanz erfolgen. Als Eltern können Sie Ihr Kind zudem unterstützen, indem Sie ein Umfeld mit klarer und eindeutiger Kommunikation schaffen, in dem die Interaktion durch Routinen und schriftliche Pläne gefördert wird 13. Bei Vorliegen des Verdachts auf eine Autismus-Spektrum-Störung sollten Sie jedoch in jedem Fall die Diagnostik und eine entsprechende Therapie bei Ihrem behandelnden Arzt einfordern.

 

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS)
Gleiches gilt bei Vorliegen des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms (ADHS), das sich vor allem durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität sowie Impulsivität, also zum Beispiel durch voreiliges, unüberlegtes oder unkontrolliertes Handeln oder durch Zerstreutheit bemerkbar macht, und bei 30 - 60 % der Patienten mit Tuberöse Sklerose Complex auftritt. Wie auch bei den Autismus-Spektrum-Störungen zeigt sich hier ein klarer Zusammenhang zum Auftreten intellektueller Einschränkungen 13, 19.

 

Depressionen und Angststörungen

Die in Studien ermittelten Häufigkeiten von psychischen Störungen, die vor allem durch eine Veränderung der Stimmungslage gekennzeichnet sind (affektive Störungen), sowie von Angststörungen weisen sehr breite Schwankungen auf, deuten jedoch auf ein gehäuftes Auftreten hin. Darüber hinaus ist das Wissen um das Auftreten psychiatrischer Begleiterkrankungen bis heute leider noch ungenügend 13. Da es sich bei den psychiatrischen Erkrankungen, die bei Patienten mit Tuberöse Sklerose Complex beobachtet werden, nicht um TSC-spezifische Störungen handelt, kann jedoch auf bereits etablierte Therapien zurückgegriffen werden.


Menschen, die an TSC erkrankt sind, haben ein erhöhtes Risiko, neuropsychiatrische Störungen zu entwickeln. Art und Ausmaß können jedoch sehr unterschiedlich sein. Bevor wir auf die einzelnen Störungen eingehen, möchten wir zunächst noch auf die TAND-Chekliste aufmerksam machen.   Diese wurde entwicklet, um Störungen zu erkennen und eventuell notwendige weiterführende Maßnahmen zur Behandlung einzuleiten. Die TAND-Checkliste steht zum kostenfreien Download bereit, sollte aber immer von einem TSC-erfahrenen Arzt gemeinsam mit dem Betroffenen und/oder dessen Angehörigen/Betreuern ausgefüllt werden. Wenn auf eine Frage die Antwort JA gegeben wird, kann es eventuell notwendig sein, diese weiter zu verfolgen und eine entsprechende Therapie in Angriff zu nehmen oder dem Betroffenen sowie dessen Angehörigen weitere Hilfen bereit zu stellen. Sollte Ihr Arzt die TAND-Checkliste bisher nicht kennen, scheuen Sie sich nicht, diese zu Ihrem nächsten Besuch mitzunehmen.



Schlafstörungen

Ein auch heute noch oft vernachlässigtes Thema bei chronisch kranken Kindern ist der Schlaf, obwohl diesem für die betroffenen Familien eine große Bedeutung zukommt. Die Qualität des Schlafes hat wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität des Kindes und seiner Eltern. Störungen des Schlafes durch nächtliches oder frühes Erwachen sind eines der häufigsten Probleme, insbesondere bei Kindern mit Tuberöse Sklerose Complex, und können zur Erschöpfung der Ressourcen in der Bewältigung der besonderen Lebenssituation beitragen. Daneben ist ein gesunder Schlaf aber vor allem für die Entwicklung Ihres Kindes wichtig. Denn inzwischen weiß man, dass das Gehirn den Schlaf zum Lernen braucht und fast alle körperlichen Prozesse auf einen intakten und erholsamen Schlaf angewiesen sind. So besteht bei einem dauerhaft gestörten Schlaf auch ein erhöhtes Risiko für Übergewicht, Diabetes mellitus, Infektionen, eine gestörte Immunabwehr (z. B. fehlender Impferfolg), Depressionen und ADHS (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung) sowie für eine Verschlechterung der Epilepsie und die Zunahme von Verhaltensproblemen bei geistiger Einschränkung und Autismus. Schlafstörungen können zudem mit nächtlichen Krampfanfällen im  Zusammenhang stehen und daher ein Hinweis auf unbeobachtete Krampfanfälle sein. Bei Ihrem Kind vorliegende Schlafstörungen sollten Sie daher unbedingt Ihrem Arzt mitteilen, damit diagnostische und gegebenenfalls therapeutische Schritte eingeleitet werden können.