40 Anfälle am Tag waren Normal


Warum gerade unser Kind? – eine Frage, die sich mein Mann und ich sicher wie viele andere TSC-betroffene Familien schon das eine oder andere Mal gestellt haben. Trotzdem haben wir schon recht früh beschlossen uns nicht einfach in unser Schicksal zu ergeben. Stattdessen wollten wir lieber anpacken und unseren Sohn unterstützen wo wir nur können.

 

Davon was noch alles auf uns zukommen würde, hatten wir bei Olivers Geburt jedoch noch keinen blassen Schimmer. Wie bei vielen schien auch bei unserem Sohn zu Anfang alles normal. Die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen, ebenso wie die Geburt. Und als Oliver das Licht der Welt erblickte, gratulierten uns die Ärzte zu einem munteren, gesunden Bürschchen.

 

Erste Auffälligkeiten haben wir im Alter von fünf Monaten bemerkt. Oliver wurde extrem unruhig und bekam BNS-Anfälle, die wir zuerst nicht zu deuten wussten. Als Rhabdomyome am Herzen und weiße Flecken auf der Haut entdeckt wurden, stand dann jedoch fest: Oliver hat TSC.

 

Wir waren geschockt als uns der Neurologe über die Krankheit aufklärte. Er sagt uns zwar, dass Oliver mit der Krankheit auch ein Gymnasialschüler werden kann, die ebenso im Raum stehende Möglichkeit einer Schwerstbehinderung und einer verkürzten Lebenserwartung rissen uns dennoch den Boden unter den Füßen weg.

 

Damit begann für uns eine Zeit der Sorge, der Angst und der Unsicherheit. Olivers Anfälle, von denen er in schlimmen Zeiten bis zu 40 am Tag hatte, ließen sich einfach nicht in den Griff bekommen und wir wussten oft weder ein noch aus. Verbesserungen brachten dann zwei komplizierte, jedoch für uns wieder sehr nervenaufreibende Hirn-Operationen in den Jahren 2011 und 2014. Aktuell hat Oliver deswegen zum Glück nur ab und zu eine Absence. Dafür sind wir natürlich unendlich dankbar. Doch die Angst, dass die Anfälle vermehrt wiederkommen könnten, schwingt immer mit.

 

Aber auch ohne die vielen epileptischen Anfälle führen wir natürlich kein Leben wie andere Familien mit gesunden Kindern. Oliver ist in seiner Entwicklung Jahre zurück und geistig auf dem Stand eines Eineinhalbjährigen. Sprechen kann er bis auf wenige Wörter nicht. Zudem hat er eine schwere Form des Autismus. Er braucht seinen ganz geregelten Ablauf, sonst bricht er zusammen – in Form von Weinkrämpfen oder Aggressivität. Oliver ist dann manchmal ein wahres Pulverfass. Mit seinen acht Jahren muss er daher auch heute noch rund um die Uhr betreut werden.

 

Dass Oliver die dritte Klasse der Oswald-Berkhan-Schule in Braunschweig besuchen kann, hilft uns an dieser Stelle sehr. Oliver ist glücklich mit anderen Kindern zusammen sein zu können und wir können ab und zu etwas durchatmen und unseren Berufen nachgehen. Wenn wir nicht arbeiten, fordert er aber nach wie vor unsere gesamte Aufmerksamkeit, egal ob Tag oder Nacht. Therapien, Medikamentenabstimmung, Arztbesuche, Wickeln – das alles kostet Kraft, genauso wie manch eine Reaktion der Außenwelt. Sätze wie „Muss der so laut sein? Alles eine Frage der Erziehung!“ haben wir uns schon mehrfach anhören müssen, wenn sich Oliver im Kaufhaus vor Freude oder Frust lautstark bemerkbar machte.

 

Vielleicht sind es aber auch gerade diese Aussagen, die das Band unserer Liebe zu Oliver noch fester werden lassen. Denn trotz allem, was die Krankheit an Mühen und Herausforderungen mit sich bringt, ist Oliver ein ganz toller Junge, der uns alles bedeutet. So lange wir können, wollen wir Oliver deswegen bei uns pflegen und ihm alles geben was er braucht, um glücklich zu sein.